
12 einfache Tipps für natürliche Portraitfotos

Seit Jahren widme ich mich der Portraitfotografie, denn ich bin überzeugt, dass sich hinter jedem Gesicht eine Geschichte verbirgt, eine einzigartige Persönlichkeit, die es herauszukitzeln gilt. Und meine Aufgabe als Portraitfotografin ist es, diese Geschichten in meinen Fotos sichtbar zu machen.
Ich gebe es zu: Ich bin keine „Hey, schau mal hierher!“-Fotografin. Ich mag keine großen Shootings mit Musik, künstlichem Licht und Posing-Anweisungen, die mehr nach Choreografie als nach Gefühl klingen. Ich mag Menschen. Und Ruhe. Und kleine, echte Momente.
Falls du auch eher zu den stilleren Seelen gehörst – oder einfach echte, natürliche Portraitfotos machen möchtest, bei denen niemand so aussieht, als hätte er gerade „Cheeeese“ gesagt – dann bist du hier richtig.
Hier sind meine 12 liebsten Tipps für Portraitfotografie, ganz besonders geeignet für Anfänger, Introvertierte und alle, die lieber beobachten als inszenieren.
1. Fenster als Lichtquelle nutzen
Ich liebe Fensterlicht. Kein künstliches Dauerlicht, kein Blitz, keine fünf Softboxen, die mich zum Schwitzen bringen – nur ein einfaches Fenster.
Gerade wenn du in der Portraitfotografie noch am Anfang stehst, ist das Fenster deine beste Freundin. Es kostet nichts, ist fast überall vorhanden, und – das Beste – es macht wunderschön weiches Licht, mit dem du stimmungsvolle, natürliche Portraits zaubern kannst.
Am besten platzierst du dein Model seitlich zum Fenster, so entsteht ein weiches Seitenlicht, das dem Gesicht Tiefe verleiht. Wenn die Sonne zu stark scheint, hilft ein Vorhang oder eine Gardine, das Licht zu streuen und angenehmer zu machen.

2. Die Sonne im Rücken (Gegenlicht)
Direktes Sonnenlicht von vorne macht die Augen klein, bringt Menschen zum Blinzeln und sorgt für harte Schatten. Nicht so meins.
Viel schöner ist es, wenn du die Sonne im Rücken deines Models hast. Das Licht fällt dann weich von hinten ein, umrahmt Haare und Schultern mit einem sanften Leuchten und gibt dem Bild eine fast schon magische Stimmung. Dieses sogenannte Gegenlicht sorgt für eine besondere Atmosphäre – ohne dass du viel tun musst.
Ein kleiner Trick: Stell dich so hin, dass du die Sonne nicht direkt in der Linse hast, sondern sie gerade so außerhalb des Bildausschnitts bleibt. Alternativ kannst du sie durch einen Baum, eine Hauskante oder dein Model selbst ein bisschen abdecken. So vermeidest du überstrahlte Bilder und bekommst trotzdem dieses wunderschöne, goldene Leuchten.
Und wenn du ganz mutig bist: Lass ruhig ein bisschen Sonne direkt mit ins Bild – ein zarter Lens Flare darf ruhig mal sein. Nicht perfekt, aber genau deswegen schön.

3. Offene Schatten finden
Ich liebe offenes Licht – aber nicht die grelle Mittagssonne, die von oben runterknallt, als würde sie mir sagen wollen: „Mach halt, aber dann mit harten Schatten unter den Augen.“ Nein, danke.
Was ich viel mehr mag: offene Schatten. Das klingt erstmal wie ein Widerspruch, ist aber mein liebster Ort, wenn ich draußen fotografiere. Offener Schatten entsteht zum Beispiel unter Bäumen, an Hauswänden, in Torbögen oder auf der Nordseite eines Gebäudes – überall da, wo das direkte Sonnenlicht ausgesperrt wird, aber trotzdem noch viel weiches, reflektiertes Licht ankommt.
Das Ergebnis: keine harten Kontraste, keine zusammengekniffenen Augen, sondern ein ganz sanftes, gleichmäßiges Licht – perfekt für natürliche Portraits.

4. Sei immer bereit
Natürliche Portraitfotos lassen sich nicht durch einen Countdown ankündigen. Sie passieren einfach. Ein Lachen, das plötzlich ehrlich wird. Ein Blick zur Seite, der alles sagt. Ein Lichtstrahl, der genau im richtigen Moment durchs Fenster fällt. Und wenn du da nicht bereit bist – zack, vorbei.
Deshalb einer meiner wichtigsten Tipps in der Portraitfotografie: Sei immer bereit.
Kamera griffbereit. Akku geladen. Speicherkarte nicht voll. Aber auch mental: aufmerksam sein, mitfühlen, hinschauen. Nicht nur auf Technik achten, sondern auf Menschen.
Und wenn mal nichts passiert? Auch gut. Dann hast du wenigstens geübt, im Moment zu sein. Und das ist eh die halbe Miete in der Portraitfotografie.

5. Der Goldene Schnitt
Ich weiß, Komposition klingt erst mal ein bisschen technisch – so nach Lineal und Mathe. Aber keine Sorge, du brauchst weder Geodreieck noch Kunststudium, um deine Bilder harmonischer wirken zu lassen.
Ein einfacher, schöner Trick: der Goldene Schnitt.
Das ist sozusagen die Lieblingsregel der Natur. Schneckenhäuser, Sonnenblumen, sogar unser Gesicht – alles folgt oft diesem Verhältnis. Und genau deshalb fühlt sich ein Bild, das nach dem Goldenen Schnitt aufgebaut ist, für unser Auge so „richtig“ an.
Ganz konkret heißt das: Setz dein Model nicht immer genau in die Mitte. Verschieb es ein kleines Stück nach links oder rechts – etwa ein Drittel vom Bildrand entfernt. Viele Kameras oder Handys haben sogar ein Raster eingeblendet, das dir dabei hilft. Zwei Linien vertikal, zwei horizontal – dort, wo sie sich kreuzen, sitzt der Goldene Schnitt.
Wenn du dein Portraitfoto so aufbaust, wirkt es oft spannender und gleichzeitig harmonisch. Es entsteht Raum – Raum für Blickrichtungen, für Licht, für Atmosphäre. Und das alles, ohne dass es gewollt oder gestellt aussieht.

6. Blickrichtung Raum geben
Kennst du das Gefühl, wenn dir jemand gegenübersitzt und plötzlich zur Seite schaut – und du automatisch hinschaust, wohin der Blick geht? Genau das passiert auch beim Fotografieren. Unser Auge folgt ganz intuitiv der Blickrichtung im Bild.
Deshalb mein kleiner, aber wirkungsvoller Tipp: Gib der Blickrichtung Raum.
Wenn dein Model zur Seite schaut, setz es nicht direkt an den Bildrand. Lass auf der Seite, in die der Blick geht, etwas Platz. Das wirkt harmonisch – fast so, als würde das Bild weitergehen.
Ich nenne das gern „Raum zum Denken“. Gerade bei stilleren, nachdenklichen Portraits unterstreicht das die Stimmung. Dein Model schaut ins Off, und wir dürfen als Betrachter ein bisschen mitträumen.
Setzt du dein Model zu nah an den Rand (in Blickrichtung), wirkt das Bild schnell eingeengt – so, als würde der Gedanke abbrechen. Und das wäre schade, denn gerade der offene Blick lässt oft Tiefe und Gefühl entstehen.

7. Vordergrund erzeugt Tiefe
Manchmal wirkt ein Bild einfach flach. Als würde man nur auf eine schöne Person vor einem Hintergrund schauen – aber ohne Gefühl von Raum oder Nähe. Alles irgendwie sauber, aber auch ein bisschen leblos.
Ein ganz einfacher Trick dagegen: Vordergrund.
Wenn du etwas zwischen Kamera und Model ins Bild holst – ein paar unscharfe Blätter, ein Schal, eine Fensterscheibe, ein Vorhang – entsteht automatisch Tiefe. Das Bild wirkt räumlicher, greifbarer, lebendiger.
Und das Beste: Es ist ganz einfach umzusetzen. Du brauchst keine Spezialausrüstung – nur ein bisschen Neugier. Geh beim Fotografieren leicht in die Hocke, fotografier durch einen Ast, halt mal eine Kaffeetasse halb mit ins Bild. Spiel mit dem, was da ist.

8. Negativen Raum nutzen
Manchmal sagt das, was nicht im Bild ist, genauso viel wie das, was zu sehen ist. Oder sogar mehr.
Ich spreche von negativem Raum – also all dem leeren Platz im Bild, der nicht vom Model oder Motiv eingenommen wird. Das kann eine kahle Wand sein, ein wolkiger Himmel, ein Stück Wiese oder einfach nur Ruhe im Bild. Und genau dieser Raum ist ein starkes Gestaltungselement.
Warum? Weil er dem Bild Luft gibt. Weil er den Blick auf dein Model lenkt, ohne laut zu sein. Und weil er oft eine ganz eigene Stimmung transportiert: Weite, Nachdenklichkeit, Einsamkeit, Freiheit – was auch immer gerade passt.

9. Aus der Bewegung fotografieren
Manchmal entstehen die schönsten Portraitfotos genau dann, wenn sich etwas bewegt.
Ein Lachen, das gerade erst beginnt. Ein Schritt zur Seite. Haare, die vom Wind erfasst werden. Ein Blick, der sich löst. Genau da passiert oft Magie – ganz ohne Posen, ganz ohne „Stell dich mal so hin und halt still“.
Ich liebe es, aus der Bewegung zu fotografieren. Nicht immer technisch perfekt. Aber echt. Lebendig.
Gerade für Menschen, die sich vor der Kamera unsicher fühlen (also… fast alle), ist Bewegung oft ein kleiner Befreiungsschlag. Statt starr zu stehen, dürfen sie laufen, drehen, sich durch die Haare fahren oder einfach losgehen. Und du darfst einfach beobachten. Nicht kommandieren – begleiten. Wenn du dazu noch mit etwas längeren Belichtungszeiten spielst, erzeugst du sehr dynamische Fotos.

10. Nah rangehen für intensive Portraitfotos
Nah rangehen ist einer meiner liebsten Tipps, wenn ich ein Portrait machen will, das wirklich berührt. Kein Schnickschnack, kein weiter Hintergrund, kein großes Setting – nur ein Gesicht. Ein Ausdruck. Ein Moment.
Wenn du mit der Kamera näher kommst, verändert sich nicht nur der Bildausschnitt. Auch die Stimmung wird eine andere. Es entsteht Intimität. Tiefe. Vielleicht auch ein bisschen Verletzlichkeit – aber auf die gute Art. Es ist, als würde man jemandem wirklich zuhören, statt nur zuzuschauen.
Natürlich braucht das Feingefühl. Nicht jeder Mensch fühlt sich wohl, wenn man ihm mit der Kamera fast auf die Pelle rückt. Deshalb: Sprich mit deinem Model. Zeig, was du siehst. Und geh nur so nah ran, wie es sich für euch beide richtig anfühlt.
Wenn du mehr zum Thema „Umgang mit Modellen“ erfahren willst, lies dir gerne meinen Beitrag zu dem Thema durch.
Ein 50mm oder 85mm Objektiv hilft dir dabei, dicht dran zu sein, ohne körperlich zu nahe zu treten. Und du wirst sehen – plötzlich sieht man mehr: kleine Falten, leuchtende Augen, echte Emotion.
Intensive Portraits entstehen nicht durch Technik. Sondern durch Mut zur Nähe.

11. Zwinge niemandem zum Posen
Ich sag’s ganz ehrlich: Ich mag keine Posen. Also diese typischen, steifen, perfekt einstudierten Haltungen, bei denen alles sitzt – außer dem Gefühl.
Zwinge niemanden zum Posen.
Wirklich. Nicht dich. Nicht dein Model. Niemanden.
Die schönsten Portraitfotos entstehen, wenn sich niemand beobachtet fühlt. Wenn keine Erwartung im Raum hängt wie eine unsichtbare Checkliste („Hand hierhin, Kinn dorthin, jetzt bitte charismatisch gucken – danke“).
Was stattdessen entsteht, wenn du den Druck rausnimmst: echte Momente. Kleine Bewegungen. Natürlichkeit. Und oft ein bisschen Erleichterung.
Und weißt du was? Manchmal ist ein leicht verwuschelter Haarsträhnchen-Moment, ein leiser Blick nach unten oder ein unperfektes, schiefes Lächeln tausendmal schöner als jede gestellte Pose.

12. Vertraue deinem Bauchgefühl
Es gibt Momente beim Fotografieren, da fühlt sich einfach etwas richtig an. Auch wenn das Licht nicht perfekt ist. Auch wenn das Model nicht exakt im Goldenen Schnitt sitzt. Auch wenn die Kameraeinstellungen vielleicht gerade eher geraten als berechnet sind.
Und trotzdem: Du spürst es.
Vertraue deinem Bauchgefühl.
Denn dieses Gefühl – leise, klar und oft ganz unauffällig – ist oft das, was dich genau im richtigen Moment auf den Auslöser drücken lässt.
Gerade in der Portraitfotografie geht es so viel um Intuition. Um feine Stimmungen. Um Zwischentöne. Und all das lässt sich nicht immer logisch erklären oder technisch erfassen. Es ist eher wie ein inneres Nicken – ein kleines „Jetzt.“
